Essay: Heimat

Der Begriff Heimat ist ein durchaus komplexer, politisch häufig missbrauchter Begriff.  

Es gibt mehrere verschiedene Definitionen, welche den Begriff Heimat zu erklären versuchen. 

Trotz allen Definitionsversuchen bedeutet Heimat für jedes Individuum etwas anderes. 

Das ist so, da jeder Mensch seine eigene Vorstellung von dem hat, was für ihn das Wort Heimat bedeutet und wie sehr es mit seiner Herkunft verknüpft ist.  

Im Duden-Bedeutungswörterbuch wird der Begriff Heimat als das Land oder den Landesteil definiert, wo man geboren und aufgewachsen ist.  

In dieser ersten Definition geht es somit hauptsächlich nur um die Gegend, aus der man stammt. Die Herkunft steht dieser Definition der Heimat sehr nahe. 

Die zweite Definition der Heimat wurde vom deutschen Schriftsteller Karlheinz Deschner (1924-2014) formuliert. Seiner Definition nach beschreibt das Wort Heimat den Ort, an welchem man liebt und geliebt wird.  

Diese Definition der Heimat bezieht sich im Gegensatz zur Definition des Duden-Bedeutungswörterbuches auf die Menschen und die Gefühle, welche man an einem beliebigen Ort verspürt und sich dadurch zu Hause fühlt.  

Was man eindeutig zur Heimat sagen kann, ist, dass es sich bei jeder Definition um einen geografischen Ort handelt, der mit einem Gefühl der Vertrautheit einhergeht und mit diversen Erinnerungen verbunden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese, mit einem Ort verbundenen Erinnerungen positiv oder negativ sein müssen.  

Der deutsche Schriftsteller Martin Kessel (1901-1990) sagte einst: „Man muss viel Ferne getrunken haben, um den Zauber des Nächsten zu fassen.“  

Aus diesem Zitat von Herrn Kessel lese ich heraus, dass sich der Begriff Heimat für ihn in erster Linie auf den geografischen Ort, an welchem man aufgewachsen ist, bezieht. 

Dennoch meint Herr Kessel, dass es durchaus möglich ist, einen weiteren Ort, an welchem man nicht aufgewachsen ist, als seine Heimat anzusehen. Hierbei spielen Fremderfahrungen eine wichtige Rolle, da sie das Verständnis für den Begriff Heimat beeinflussen. 

Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch, dass man an einem neuen Ort viel gesehen und erlebt haben muss, um ihn in sein Herz zu schliessen und ihn somit auch als seine Heimat anzusehen. 

Wir befinden uns nun im 21. Jahrhundert. Die Welt wird dank den vielen Möglichkeiten zu reisen immer multikultureller. 

Heutzutage ist es üblich, dass das moderne Berufsleben eine Ungebundenheit bezüglich des Wohnortes erfordert. Deshalb war es vor allem vor der Corona-Situation für viele Menschen selbstverständlich für ihre Arbeit an verschiedenen Orten zu leben und viel zu reisen. 

Seitdem das Coronavirus sich überall verbreitet ist dies schwieriger.  

Ebenso war es vor allem vor der Corona-Situation für viele Menschen selbstverständlich immer wieder in andere Länder zu reisen, um ihre Ferien dort zu verbringen, oder einen Ausflug zu machen und einen anderen Teil unserer Welt kennenzulernen. Da das Reisen in weit entfernte Länder momentan kaum möglich ist, bereisen nun viele Menschen das eigene Land und lernen es besser kennen.  

Durch das Reisen erlebt man etwas Neues und hat etwas Abwechslung zu seiner gewohnten Umgebung. Man lernt neue Orte und Menschen kennen und hat einen Tapetenwechsel, um sich vom Alltag zu erholen. 

Aufgrund dieser Faktoren gibt es überall auf dieser Welt viele Menschen mit verschiedenen Herkünften, welche sich an ein und demselben Ort aufhalten, obwohl sie dort nicht aufgewachsen sind. Dies führt dazu, dass die Welt sehr multikutlurell ist und viele Menschen einen neuen Ort als ihre neue Heimat anzusehen versuchen.  

Hinzu kommt, dass unsere Welt immer digitalisierter wird. Um mit Menschen aus verschiedenen Gegenden zu kommunizieren und sie während dessen sogar über einen Bildschirm sehen zu können, muss man sich dank dem Handy oder dem Computer physisch nicht mehr am ein und demselben Ort befinden.   

Alles was hierzu notwendig ist, ist eine gute Internet-Verbindung an beiden Standpunkten der Individuen. Somit kann man an einem Ort leben und dennoch mit geliebten Personen in Kontakt sein, welche sich an einem anderen Ort befinden.  

Nun stellt sich mir die Frage, ob wir trotz all diesen Fakten überhaupt noch eine Heimat brauchen. Die Menschen, die wir lieben, können schliesslich überall auf der Welt verteilt sein und dennoch Kontakt mit uns aufnehmen. 

Brauchen wir Menschen einer solch modernen Zeit überhaupt einen Ort, den wir als Heimat ansehen können und ist die Heimat nicht ein rückwärtsgewandtes Konzept, welches in einer derart globalisierten und digitalisierten Welt nicht mehr notwendig ist? 

In meiner Ansicht haben beide oben genannten Definitionen einen wahren Aspekt an sich. 
Obwohl ich auf Grund von meinen eigenen Erfahrungen der Meinung bin, dass die Heimat der Herkunft sehr nahe steht, darf man das Wort Heimat und das Wort Herkunft einander nicht sofort gleichsetzen.  

Die Herkunft meint einen sozialen, nationalen und kulturellen Bereich, aus welchem man ursprünglich stammt. Diese Definition steht der Definition des Duden-Bedeutungswörterbuches für die Heimat sehr nahe. Dennoch ist die Heimat nicht zwingend mit der Kultur, mit welcher man aufwächst, oder mit dem sozialen und nationalen Bereich zu verbinden. Man kann beispielsweise einer bestimmten kulturellen Herkunft sein und dennoch einen Ort als Heimat ansehen, der nichts mit der Herkunft zu tun hat. 

Nur weil eine Person eine bestimmte Herkunft hat, bedeutet dies somit nicht, dass sie ihre Herkunft ebenso ihrer Heimat gleichsetzt. 

Dies ist vor allem der Fall, wenn man nicht am Ort seiner Herkunft aufwächst. 

Nun möchte ich gerne auf die Multikulturalität der modernen Welt eingehen. Der Begriff  multikulturell bedeutet, dass eine kulturelle Vielfalt herrscht. 

Die Reisemöglichkeiten und die Digitalisierung sind Aspekte, welche die Multikulturalität fördern.  

Ich selbst wurde zwar in der Schweiz geboren und wuchs ebenso hier auf, doch ich habe einen Schweizer Vater und eine russische Mutter. 

Zu Hause wuchs ich bilingual auf und erlebte sowohl die schweizerische, als auch die russische Kultur. Hinzu kommt, dass ich die ersten 15 Jahre meines Lebens in Arbon, einer Stadt am Bodensee verbrachte. Vor drei Jahren zog ich nach Feusisberg in den Kanton Schwyz. 

Da meine Grossmutter aus Feusisberg stammt und ich mich als Kind oft dort aufhielt, kannte ich den Ort bereits.  
Obwohl ich eine gemischte Herkunft habe, sehe ich die Schweiz als mein Heimatland an. 

Russland sehe ich durchaus als einen Teil meiner Herkunft, doch da ich nur die Kultur und die Sprache kenne und mich selbst nie am Herkunftsort meiner Mutter befand, fühlt sich Russland für mich nicht wie eine Heimat an.  

Das oben genannte Zitat von Herr Kessel finde ich sehr nachvollziehbar, denn in meinen Augen entspricht es meiner Auffassung. Man kann durchaus mehrere Orte als seine Heimat ansehen.  

Ich selbst empfinde zwei Orte als meine Heimat.  

Einerseits sehe ich den Ort, an welchem ich hauptsächlich aufgewachsen bin als meine erste Heimat. Dies, da ich mit Arbon viele Erinnerungen verbinde und die Gegend auswendig kenne. 

Feusisberg sehe ich als meine zweite Heimat an. Dies, da sich in Feusisberg und der Region um Feusisberg die Menschen befinden, die mir viel bedeuten. Ebenso verbinde ich vor allem die Erinnerungen der letzten drei Jahre mit Feusisberg und sehe es somit als meine neue und zweite Heimat an.  

Das Wort Heimat bedeutet für mich eine Mischung aus den oben genannten Definitionen, denn meiner Meinung nach stimmen beide Definitionen. 

Um meine Definition von Heimat zu beschreiben, müsste man sie kombinieren, da ich sowohl den Ort an welchem ich aufgewachsen bin, als auch den Ort an den ich später hingezogen bin als meine Heimat ansehe.  

 
Meiner Meinung nach ist eine Heimat zu haben vor allem in einer solch modernen Welt etwas sehr Wichtiges, was alle Menschen haben sollten. Die Möglichkeiten der Digitalisierung sind kein Ersatz für den physischen Kontakt zu den Menschen, welcher eine Auswirkung auf das Gefühl des sich zu Hause fühlens hat. Aus diesem Grund braucht man nicht nur digitalen sondern auch physischen Kontakt zu Menschen, welche einem etwas bedeuten. Man sollte ebenso trotz all den Möglichkeiten zu reisen und kommunizieren zu können einen Ort haben, an welchen man zurückkehren und sagen kann: „Dieser Ort bedeutet mir etwas und ich fühle mich hier zu Hause“.  

S.H.

Veröffentlicht von Blaue Becher

Redaktion Blaue Becher

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